„In unvordenklicher Zeit, die längst vergessen, als es nur Töne gab zwischen den Menschen, um sich zu verständigen, Vögeln gleich, die zwitschern, wenn sie Gefahr wittern, wie Löwen, die brüllen, wenn sie sich paaren wollen, wie Bienen, die summen, weil der Frühling Nahrung schenkt, entstand aus allen lauten menschlicher Kehlen Musik als die universelle Sprache dieser Welt. Sie wurde gesammelt im Buch der Melodien, um sie festzuhalten für die Ewigkeit im Bewusstsein, dass, wenn nur für eine Sekunde auf diesem Planeten nicht ein einziges Lied mehr ertönt, wo immer oder so leise es auch sein mag, diese Welt untergehen muss. Es waren Frauen, die es sich zur Aufgabe machten, diese Überlieferungen zu hüten und weiter zu geben, mit der Kraft ihrer Stimmen. In diesen IHREN Melodien verborgen liegt das Geheimnis der Schöpfung. Niedergeschrieben im vergessenen Buch der Melodien. Hören Sie!“
Sieben Opernsängerinnen entführen in einen vielfältigen Dschungel des Gesangs, verführen mit kunstvollen Kantilenen, berühren mit gefühlvollen Arien und verblüffen mit gleichsam orchestral dargebotenen rhythmischen Gesängen entlegener Kulturen.
Das war die Ankündigung meines ersten Bühnenabends, den ich geschrieben, inszeniert und choreographiert habe. Ein Abend der Stimmen, weiblicher Stimmen, zu dem ich inspiriert wurde durch meinen Film IM HERZEN DES LICHTS, den ich vor ein paar Jahren – basierend auf einer Idee von André Heller – gedreht hatte. Hier wie dort war die weibliche Stimme das Zentrum des Geschehens.
Zum ersten mal hatte ich Lust, für den Raum zu inszenieren. Das Bühnenbild bestand aus einem Wald herunterhängender weißen Fahnen. Eine in Streifen geschnittene Leinwand, auf der zu jedem Song entsprechende Filme oder Bilder projiziert wurden. Eine Bühne, die uns nach Korea entführte, in die großen Opernhäuser vergangener Zeiten, in den Frühling wie in die eisigen Regionen dieser Welt. 7 weibliche Stimmen, Sopranstimmen, begleitet nur von einem Flügel (Christoph Israel) und Perkussionsinstrumenten. Eine Reise durch die Welt der Oper (Pace Pace, Arie der Leonara aus „Die Macht des Schicksals“, „Cold Song“ aus King Arthur oder „Jeux Veux Vivre“ aus Romeo and Juliette oder „Caro Nome“ aus Rigoletto), der modernen Musik (Gopher von Yma Sumac), in die aufregende Welt des a cappella (Poem. A Word und Splanky von der Real Group), in die Urlaute des sibirischen Obertons (Naked Spirit von Sayinkho Namtchylak), in die indische Regionen des Tabla-Gesangs der Sheila Shandra, in die obersten Tonlagen der Wendezeit („Naturträne“ von Nina Hagen), wie in die koreanischen Kinderzimmer („Without love we have nothing“), ein Ausflug in die Stadt der Liebe ("La vie en Rose von Edith Piaf") und des Popsongs ("I wish" von Steve Wonder oder "Natural Woman" von Carol King). Auch Afrika haben wir nicht ausgelassen (Mamizola von den Women of Mambozo), Kuba mit seinen Milonga de la Anunciacion oder das Serbien Bregovic’s ("Ederlezi") und endeten wie immer – beim Film ("The Rose" von Bo Goldmann).
Eine wahrlich abenteuerliche Reise, die mit den Worten einer alten Frau begann und damit das Leitmotiv des Abend präsentierte, während die Stimmen/ Frauen im Raum sich einzeln und in ihrer ureigenen Tonalität vorstellten.
„Es beginnt beschwörend, mythisch, rituell – wie eine Erzählung aus uralter Zeit, vom Ursprung der Musik aus universeller Sprache. Schließlich geht es beim Spitzentreffen der sieben Diven um einen wilden Crossover-Ritt durch Musikgeschichte und Stilrichtungen: Klassik, Pop, Rock, Weltmusik werden in grandioser Ensembleleistung zu einem harmonischen Ganzen verschmolzen. Die einzelnen Stimmen – darunter die von Opernstar Janet Williams – treten hinter das alle und alles umspannende Gesamtkunstwerk zurück. Dazu gehören Bühnenbild, Kostüme, Lichtdesign und Videos. Ironisch-spielerisch treten die sieben Diven –jede für sich von gewichtiger Prominenz – miteinander in den Sängerinnen-Wettstreit, um dann doch immer wieder, auch aus der Tiefe des Zuschauerraums heraus, auf der Bühne, in der Gemeinschaft, zusammen zu finden. Das ist grandios arrangiert, choreografiert, von Flügel und Percussion sparsam instrumentiert – und natürlich: hinreißend gesungen. Ob mit aller „Macht des Schicksals“, dem komischen „Katzenduett“ oder traditionellen afrikanischen und balkanischen Gesängen – diese „Human Voices“ überzeugen auf der ganzen Linie. Dem Tipi ist mit dieser aufwendigen Eigenproduktion ein spätes Sommer-Highlight gelungen.“