Tagebuch

Amnesty International Film Award. Ein Gespräch

"Unrecht muss erinnert werden"

Filmemacher Pepe Danquart war Mitglied der ­Amnesty-Jury auf der Berlinale. Ein Gespräch über Menschenrechtsverletzungen, Form, Inhalt und die Königsklasse des filmischen Machens.

Die Amnesty-Jury hatte 17 sehr unterschiedliche Filme zu bewerten - die Bandbreite reichte von der Langzeitdokumentation bis zum actiongeladenen Happening-Film. War es schwierig, einen Preisträger zu ermitteln?

Es war auf eine gewisse Weise schon anstrengend, konfrontiert zu werden mit dem Zustand der Welt, wie das in diesen dokumentarischen wie inszenierten Filmen der Fall war. Wir hatten eine breite Auswahl von Themen: Es fing an mit Menschenrechtsverletzungen im ganz Großen, wo sich einzelne Menschen gegen Unrecht einsetzen, auch wenn sie mit persönlichen Folgen zu rechnen haben. Und es ging bis hin zu Geschlechter- oder Emanzipationsfragen, sowohl "queere" als auch Frauenthemen. Da eine Wahl zu treffen, ist immer schwierig. Wir fanden, dass Hans-Christian Schmids "Sturm" in einer ganz besonderen Art zu einem filmischen Werk geworden ist, das sich in sehr gelungener Weise mit der Problematik von Völkerrecht und individuellem Unrecht auseinandersetzt.

Ihr Programm umfasste sowohl ernste, wenig eingängige ­Dokumentar- als auch sehr emotionsgeladene Spielfilme. ­Da kann man doch gar keine Vergleiche anstellen…

Doch, das geht schon. Wobei ich sagen muss: Nach wie vor ist der dokumentarische Film die Königsklasse des filmischen
Machens. Insofern war es eine Überraschung, dass ein Spielfilm den Amnesty-Preis gewonnen hat. Wobei "Sturm" auch seine dokumentarischen Elemente hat - vor allem in der Art, wie er gemacht ist: per Schulterkamera gewinnt er große Authentizität. Man denkt ja gar nicht daran, dass dies eine ausgedachte Geschichte ist, man hält es für eine wahre. Es gab natürlich auch komplett innovative Formen wie "The Yes Men Fix The World" über die Undercover-Politaktivisten, die Manager faken. Aber Ihre Frage zielt ja darauf ab, ob es für uns langweilig war…

War es das?

Das Gegenteil war der Fall. Selbst lange Dokumentarfilme haben uns beeindruckt. Es war ein sehr interessantes Unterfangen.

Ging es in erster Linie um ästhetische Kategorien oder um ­Inhalt?

Nun, wir waren ja auf einem Filmfestival. Da ist die Umsetzung wichtig. Der Amnesty-Preis hat nicht nur den Inhalt, sondern auch die filmische Verarbeitung eines Zustandes zu bewerten.

Hat sich die Ästhetik im Menschenrechtsfilm in den letzten Jahren verändert?

Gerade "Sturm" ist ein Film, der sich in ganz außergewöhnlicher Weise ästhetisch an ein schwieriges Thema herangewagt hat. Der Amnesty-Preis soll ermutigen, auf der großen Bühne wie im kleinen subkulturellen Schaffen neue Formen zu suchen, um tatsächlich Menschen zu erreichen. Auf ein Thema hinzuweisen, aber gleichzeitig in einer filmischen Art zu informieren und natürlich auch zu unterhalten. Das ist kein Widerspruch.

Nun schimpft die Kritik, in "Sturm" dominiere die Moral alles andere, weil ja die Hauptfigur, die Anklägerin, sehr moralisch denkt und deshalb jede Menge Fehler macht: Sie gefährdet ihre Zeugen, verschlampt Beweise…

Fehler zu machen und dazu zu stehen, ist eine große Sache. Die Anklägerin ist eben eine zwiegespaltene Figur - und der Charakter ist wunderbar gespielt von der Hauptdarstellerin Kerry Fox. Sie bringt den internen Konflikt zum Tragen. Mit diesen Widersprüchen wird ein extrem spannender Film gemacht. Insofern ist das ein sehr verzweigtes, sehr gut geschriebenes Buch.

Ist der Kinofilm das Mittel der Wahl für Kampagnen?

Film ist im Zeitalter der Vernetzung eines der besten Transportmittel, um Unrecht herauszustellen.

Kino macht die Welt besser?

Das weiß ich nicht. Aber es kann dazu beitragen, Unrecht nicht einfach verschwinden zu lassen - wenn es etwa um eine thailändische Lehrerin in irgendeinem Dorf geht, die von Extremisten umgebracht wurde, und an die in dem Film "Citizen Juling" erinnert wird. Kein Mensch auf der Welt hätte jemals davon erfahren, wäre dieser Film nicht auf diesem Festival gelaufen.

Interview: Jürgen Kiontke

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