Kurzreflektion auf einer Tagung zur dokumentarischen Haltung
von Prof. Pepe Danquart
Der Text war ein Vortrag auf einer Podiumsdiskussion bei Dokville 2010 in Ludwigsburg, der jährlichen Tagung der Dokumentarfilmer/Produzenten in Deutschland, organisiert vom Haus des Dokumentarfilms und dem SWR
Der Text („Dokumentarische Haltung“ von Christoph Hübner) über den hier debattiert wird, ist ja entstanden zu einer Zeit, als man im Dokumentarfilm noch hehre Haltungen eingefordert hat, also ich erinnere an heftige Debatten zwischen Klaus Kreimeier und Klaus Wildenhahn in Duisburg in den 80iger und 90iger Jahren des letzten Jahrhunderts. Zwei heftige Positionen, die sich aus der Zeit des „direct cinema“ in den 60er Jahren im Gegenzug zum „cinema verité“, die behaupteten, dass man dort Wirklichkeit beeinflusst, die andere unsichtbar machen wollen. Die berühmte Fliege an der Wand, sozusagen zu beobachten und alles andere wurde als nicht dokumentarisch abgetan.
Und ich erinnere mich auch an einen Vorwurf, dass Klaus Wildenhahn mich den Opernregisseur unter den Dokumentarfilmern nannte in Duisburg der 80iger Jahre, weil ich ihm gesagt habe, dass alles erlaubt ist im dokumentarischen Film. Die Intention, warum man diesen Film macht als Haltung in diesen Film mit hineinzupacken. Darüber müssten wir eigentlich heute hinweg sein, nämlich auf der Suche nach dem Authentischen. Der inszenierte Film sucht ja auch das Dokumentarische, die dokumentarischen Sichten, die sich in den Visionen mit anderen Mitteln auch der Authentizität zuwenden. Das Authentische im Dokumentarfilm ist ja meist die Subjektivität des Filmemachers, die er sucht. Das große Abenteuer beginnt doch immer dann, wenn man sich beim dokumentarischen Filmemachen auf eine Haltung, auf ein Abenteuer einlässt, das ungewiss ist, etwas, von dem man am Anfang nicht weiß, wo das endet. Und ich stelle mir diesen Prozess nicht mit Ende des Drehens vor, sondern auch im Schnitt. Die Frage ist nämlich- ich produziere ja auch Filme neben meiner Regietätigkeit und zur Zeit einen Film über Prostitution, den Michael Glawogger als Regisseur macht. Das Einlassen auf dieser Welt an Orten zu drehen, wo noch bisher keiner war, ist ein Abenteuer mit einer Haltung, die erst beim Machen, also erst über dieses Material heraus, das ich als Produzent sozusagen in der zweiten Reihe miterlebe, nicht meine persönliche Haltung ist. Es ist dieses Einlassen, dieses vollkommene Vertrauen bzw. auch den Mut zu haben, Dinge dort festzuhalten, die sich durch das Material evozieren. Das ist eine ganz spannende Haltung, die ich auch als Regisseur teile. Auch ein wagemutiges Herangehen im Sinne von „sich auf dünnem Eis bewegen“, eine dokumentarische Situation zu etablieren, auch zu inszenieren. Einen Raum zu inszenieren, sich darauf einzulassen, dass es so schief geht, wie dieses Fußballspiel (WM Spiel, Deutschland - Serbien 0:1 am 18.07.2010) gerade eben. Das macht einen nervös, das macht einen unsicher, aber es bringt einem auch Erkenntnisse... Die Haltung des dokumentarischen Films heute, auch in dem Kontext von Doktale, also Märchen erzählen oder dieser wirklichen Wahrheit hinterherrennen, das ist eine Diskussion, die seit den 60er Jahren ad absurdum geführt und für die auch noch keine Lösung gefunden wurde. Heutzutage bieten sich auch andere Möglichkeiten, ob das nun diese berühmten DJs (Digital Journalists) sind oder ob wir immer noch klassisch arbeiten mit Teams und einer Vision. Möglichkeiten, die neu zu diskutieren sind und auch mit einer Offenheit in der Variation, in den Mitteln, in den technischen Möglichkeiten und auch in den Anlagen geradezu herausfordert. Ich finde, dass das, was man heute fast klassischen Dokumentarfilm nennt - und da ist es ganz egal, ob er jetzt gut eingebettet ist in Marketingstrategien, wie im Vorwort beschrieben (Programm zur DOKVILLE Tagung 2010) oder noch immer den alten, wahrhaftigen, oral history, talking heads verhaftet bleibt - spielt in diesem Fall, meines Erachtens nach, keine Rolle. Da gibt es gerade, was den Nachwuchs angeht und auch was die etablierten Filmeregisseure machen andere Möglichkeiten. Aus der Zeit heraus, aus den sich daraus entwickelten Möglichkeiten und den neuen technischen Innovationen ergeben sich neue Herausforderungen, die wir als Haltung noch entdecken müssen.