zum geleit der 37. duisburger filmwoche im jahr 2013
im bilde bin ich gelegentlich, meistens nicht. ob es nun sport, kultur oder die gängigen boulevard neuigkeiten sind, sie drängen sich mir nicht in der intensität auf, das sie ins bild kommen und nicht schon am rahmen scheitern. über den Fussball in freiburg bin ich im bilde, schon. den rest der liga weiß ich. kultur - wenn es sich um film und nicht bayreuth handelt, das liest und sieht man, besonders wenn es dokumentarisch kommt. im bilde bin ich aber auch hier nie wirklich. wer ist das schon. und beim boulevard mach ich den offenbarungseid. frau schöneberger und ihr gewicht nach der geburt - das bleibt einfach nicht im gedächtnis, wenn‘s überhaupt dorthin gelangt. doch manchmal brennt sich etwas ins hirn, wie, wenn man zulange in eine lichtquelle schaut und dann die augen schließt: die lichtkonturen bleiben, als ob sich sich auf der netzhaut eingebrannt haben und dann so ans hirn weitergegeben wurde. wenn das im kino mit einem bild/einstellung passiert,sind das tolle und seltene momente. die bleiben. lange.
vor einigen jahrzehnten, guten zwei nehme ich an, sah ich in einer vorstellung der duisburger filmwoche die schlusseinstellung eines films. EINE lange lange einstellung mit langer brennweite auf einem bahnhof, irgendwo im deutschen osten. einer dieser bahnhöfe, die nur ein gleis haben. er wirkte merkwürdig verlassen. ‚ob hier noch züge fahren‘, war der erste gedanke bei der trostlosigkeit der verrosteten signalmasten am ende des bahnsteigs. es ist winter. eisig kalt und der wind läßt die veralteten und zerfedderten fahrpläne an der grauen außenfassade des bahnhofgebäudes an ihren rändern erzittern. durch leichtes schneetreiben entdeckt man plötzlich in dieser einen einstellung zwei menschen weit hinten auf dem bahnsteig. sie sind eingemummelt in warme wollmäntel, den hals umschalt, den kopf schützend mit tief ins gesicht gezogener mütze. es sind mann und frau. sie sind nicht mehr jung. ob sie zusammen gehören weiß man nicht. sie warten hier auf einen zug, der sie mitnimmt in die wohlige wärme am heimischen ofen. sie sind bepackt mit einkäufen, die in plastiktüten verstaut, an beiden händen neben ihren körper wie schwere gewichte hängen. sie schauen sich nicht an. sie kämpfen mit der kälte.
stehen die beiden am anfang der einstellung noch regungslos dort neben einander, manchmal den kopf wendend in die richtung , wo der zug kommen soll, treibt sie die kälte irgendwann in die bewegung. sie treten mit ihren plastiktüten zuerst auf der stelle, die knie hoch bis zum bauch gezogen, damit das blut in bewegung gerät, dann auch ein paar schritte vorwärts, zurück, dann wieder aneinander vorbei. sie ziehen die arme mit den schweren plastiktüten beim laufen auf der stelle rhythmisch hoch, damit auch der oberkörper bewegungswärme bekommt. endlos still an diesem unwirtlichen, kalten und tristen ort des wartens. nur zwei menschen, die auf fast unwirkliche weise auf der stelle treten, weil ihnen kalt ist.
dann setzt plötzlich musik ein. und das bild - nicht die einstellung - ändert sich wie in einem märchen. die beiden bewegen sich rythmisch taktgenau zur musik von fred frith, sie tanzen mit ihren tüten wie in einem stück von pina bausch, bewegen sich wie choreographiert graziös vor einem bizarren bühnenbild in einem wintermärchen. die tanzenden wirken plötzlich wie gelöst, so leicht und unbeschwert bewegen sich die beiden alten menschen zur musik, als ob sie nie etwas anderes gemacht haben. als ob sie sich in den himmel tanzen wollten, federleicht und ohne mühen. die schönheit dieses bildes zauberte mir ein lächeln ins gesicht und rührte mich zu tränen. ich hätte endlos zuschauen können.
dann fährt aus der ferne ein zug ins bild, kommt näher und verschluckt die beiden tanzenden in seinem metallenen bauch und verschwindet wieder aus dem bild. zurück bleibt die tristess eines einsamen runtergekommen bahnhofs im osten deutschlands im winter. die lange einstellung blendet ins schwarz. der zauber ist vorbei.
am ende des abspanns nochmals der titel des films: „step across the border“ von nicolas humbert und werner penzel
© pepe danquart, im oktober 2013