Realismus im zeitgenössischen amerikanischen Kino

Zu Gast bei Danquart: André Siegers

Blockseminar

Von einem der Lotto spielte, weil er kein Glück mehr hatte

Das Lottospielen als eine Standardszene, als ein letztes Glücksversprechen der Mittellosen, findet in den Geschichten eines zeitgenössischen US-Kinos seinen Platz, das der Filmkritiker A.O. Scott unter dem Begriff des Neo-Neorealismus subsumiert. Diese Filme zeigen die Auswirkungen gesellschaftspolitischer und ökonomischer Faktoren auf den Einzelnen. In Inhalt und Form demontieren sie den Amerikanischen Traum als bodenloses Heilsversprechen und mit ihm die Hollywoodmaschinerie als Recyclingunternehmen des Nationalethos. Sie stellen einen, wie A.O Scott formuliert, ”Eskapismus vom Eskapismus“ dar. Sie dezentralisieren die Geschichten, die sie erzählen, ihr Personal, ebenso wie ihre Handlungsorte. Wo früher New York war, ist jetzt Baltimore. Nicht mehr die Metropolen der amerikanischen Filmgeschichte stellen die Schauplätze dieser Filme, sondern Regionen, die bisher kaum im Kino zu sehen waren. Gesellschaftliche Verhältnisse werden in ihnen sichtbar und aufgebrochen, wogegen ihre Ursachen meist im Verborgenen bleiben. Spürbar werden sie allein durch die Gewalt ihrer Konsequenzen. Es sind neben thematischen und inhaltlichen Überschneidungen nicht zuletzt die ästhetischen Verfahren, derer sich diese Filme bedienen, die den von A.O. Scott wahrgenommenen Realismus erzeugen. In unserem Blockseminar wollen wir uns diesem Realismus in den Filmen von Kelly Reichardt, Ramin Bahrani, Jake Mahaffy und anderen widmen. Dabei soll uns der wacklige Begriff des Neo-Neorealismus nicht als Kategorisierung sondern als Arbeitshypothese dienen, die es uns ermöglicht, diese Werke an eine Filmgeschichte zurückzubinden. So können wir untersuchen, wie und ob sie hier fortgeführt, erneuert und umgeschrieben wird. Nicht zuletzt wollen wir nach dem politischen Potential der filmischen und erzählerischen Mittel fragen, die hier zum Einsatz kommen, um eine etwas andere (Kino-)Geschichte des heutigen Amerikas zu schreiben.

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