Als das Fotobuch „Die Amerikaner“ 1959 in den USA erschien, war der Schweizer Robert Frank gerade mal 35 Jahre alt und erreichte mit dieser vollkommenen Komposition bereits weltweiten Ruhm. Auch als Perfektionist. Von 28.000 Negativen verwendete er nur 83 Aufnahmen für den Band. Aber es war nicht der Beginn einer großen fotografischen Karriere, es war vielmehr ein Abschluss. Er hat danach nur noch wenig fotografiert. Stattdessen drehte er Filme, der erste war „Pull My Daisy“ von 1959, der 22. war „True Story“ von 2004. Die meist kurzen Filme changieren zwischen Spiel- und Dokumentarfilm, es gibt keine ästhetische Kontinuität. Jeder ist anders, überraschend, spontan und direkt im Ausdruck. Viele haben, wie auch seine späteren Fotografien, einen deutlichen Bezug zum eigenen Leben. Oft Dokumente der Trauer durch den Verlust seiner Kinder, aber auch wildes „Direct cinema“, wie der fast nie gezeigte schonungslose Film Cocksucker
Blues“ über die USA-Tournee der Rolling Stones.
Eine Seminar-Reise entlang seiner Filme, die eine Mischung sind aus realer Darstellung, dem erzählerischen Potential von fotografischen Sequenzen und der visuellen Poesie des Alltagslebens.
„Man muss wissen und sehen, und man muss sehen und wissen. Das eine ist vom anderen nicht zu trennen. Wenn Sie nach Auschwitz fahren, ohne etwas über Auschwitz und die Geschichte dieses Lagers zu wissen, sehen Sie nichts, verstehen Sie nichts. Desgleichen, wenn Sie Bescheid wissen und nicht dort gewesen sind, werden Sie ebenso wenig verstehen.“ Claude Lanzmann sagt in diesem theoretischen Kontext, dass er nichts wusste, als er seinen 9-stündigen Film über die Massenvernichtung der Juden begann, dass er kein Konzept hatte, mit theoretischem Wissen aus zweiter Hand seine Recherche begann. Den beeindruckenden und einzigartigen Film über die Geschichte des Holocaust wollen wir in einem Kompaktseminar sehen, analysieren und verstehen. Der Frage nachgehen: „Was heißt Wirklichkeit abbilden? Bilder hervorzubringen, ausgehend von der Wirklichkeit, heißt: die Wirklichkeit durchdringen. Einen Ausschnitt wählen, heißt: vertiefen.“
Ein Seminar über eine filmische Konstruktion zwischen Inszenierung und Dokument, über die Rekonstituierung von Geschichte, die allein der Macht der Evokation und des Wortes vertraut.
Es sollen neuere Entwicklungen im Dokumentarfilm beobachtet werden, welche sich - thematisch und/oder formal - mit Körperlichkeit auseinandersetzen. Die neuen Aufzeichnungsmedien spielen dabei - wie man sehen wird - eine durchaus konstituierende Rolle. Das Ausdehnen von Zeit und die Beiläufigkeit des Aufnehmens: Neue Qualitäten scheinen auf. Dabei gilt natürlich immer das Dictum Nietzsches: Nie beobachten, um zu beobachten!
Die Dokumentarfilmwoche Hamburg zeigt seit 2004 internationale Dokumentarfilme ohne den Blick auch auf die kleinen regionalen Produktionen zu verlieren. Darüber hinaus werden jedes Jahr bewusst auch Filme ausgewählt, die ohne Fördermittel und Fernsehsender entstehen. Einfache Camcorderfilme, aber ebenso Dokumentarfilm-Klassiker in einer Retrospektive.