Es wurden dann 8 Wochen, bei einer 6 Tage Woche, 42 Drehtage und 8452 Kilometer die uns der Süden abverlangte auf unserer Drehreise für das Projekt: Vor mir der Süden (AT). Auf den Spuren von Pasolini’s Reise vor 60 Jahren und in seinem Geiste das aktuelle Italien zu entdecken war ungeheuer anstrengend und dabei gewaltig inspirierend und überraschend.
Ein filmisches Abenteuer, das so offen angelegt war wie selten ein Projekt von mir zuvor. Ich kannte die Route – von Ventimiglia, über Genua, Rom, Neapel, Messina, Sizilien, entlang der kalabrischen Küste hinüber nach Apulien, Bari, Brindisi, Rimini, Venedig bis nach Triest – kannte die Texte Pasolini’s zu seiner Reise 1959 und die theoretischen Schriften, die prophetisch bereits die Migration, die Globalisierung und den heutigen Konsumismus voraussahen. Aber das war’s schon.
Das aktuelle Italien, das Italien der Lega Nord und der Chinque Stelle kannte weder er noch ich. So war ich auf meine Neugierde und Offenheit Menschen gegenüber angewiesen, um die Bilder zu finden, die all das in sich tragen, was ich theoretisch wusste. Ich fand es zahlreich und manchmal überraschend: in den Straßen von Neapel, im Hafen von Genua, auf den Hinterhöfen von Palermo, den vollen (Veneto) wie an den verlassen Stränden Kalabriens, in den Flüchtlingslagern im Süden und in den Tourismushochburgen wie Venedig oder Jesolo im Norden. Mit einer jugendlichen Crew (Durchschnittsalter 28), die hochmotiviert und aus-dauernd die oft langen Drehtage durchgestanden haben, einer völlig abgefahrenen „state-of-the-art“ Kamera Sony Venice (wir waren wohl die ersten, die sie unter ernsthaft profession-ellen Bedingungen einsetzten), die Nachts mehr sehen konnte, als ich mit bloßem Auge, trafen wir auf Obdachlose in besetzten Kirchen, auf Fischer in runtergekommenen Booten, auf streikerfahrene Hafenarbeiter und auf die letzten Bauern in verlassenen Dörfern, fanden uns am Todesort Pasolini’s in fellinesker Situation wieder oder trafen die noch lebenden Weggefährten wie den Fotografen seiner Reise 1959, Paolo di Paolo. Ein reicher Schatz an Gesprächen und Bildern, die man filmisch nur dann bekommt, wenn man das Risiko eingeht, nicht vorher alles wissen zu müssen und sich auf den genialen dokumentarischen Zufall vorbereitet, um bereit zu sein zu drehen, da er immer kommt, aber sich nie ankündigt. Diese genialen Momente sind „Essentials“ eines guten Films. Weiß jeder, der im Dokumentarischen unterwegs ist.
Jetzt geht’s ans Montieren, Editieren und Vertonen des Materials. Werde wieder Laut geben, wenn es vollbracht ist.
Berlin, Dezember 2018