Wie kommt die Musik in den Film? Diese Frage beschäftigt nicht nur Menschen, die einen fertigen Film sehen. Sie ist auch immer wieder eine zentrale Frage während der Entstehung von Filmen. Ist zuerst die Musik da oder die Bilder? Wird der Film auf die Musik zugeschnitten oder umgekehrt? Welche Funktion soll die Musik übernehmen? Fragen, die jeder anders löst, und manchmal fällt diese Entscheidung die Musik selbst – ja, da ist man dann ganz außen vor und reibt sich verwundert die Augen, wie das jetzt plötzlich so und nicht anders entschieden wurde. Wie im Fall von BASTA:
Als wir BASTA drehten, dachten wir zunächst über populäre Musik nach, hauptsächlich über deutsche und österreichische Popmusik. Oder sollten wir uns anlehnen an die amerikanischen Mafia-Filme? Wir hörten die originären Mafialieder aus Italien und entwickelten jeder ganz spezifische Vorstellungen. Doch dann passierte etwas Verrücktes im Schneideraum:
Meine Cutterin, die schon während des Drehs die ersten Sequenzen am Schneidetisch montierte, bat mich um Musik, die sie provisorisch unter diese Sequenzen legen wollte. So wollte sie herauszufinden, in welche Richtung meine Vorstellung über den „Ton“ des Films ging. Wir trafen uns und ich brachte Musik mit aus meiner umfangreichen CD Sammlung. Von Morricone bis hin zu den Ärzten. Bekannte Filmscores von Filmen des gleichen Genres und zum Spaß – weil es in BASTA um die russische Mafia in Wien geht – auch Kaminers „Russendisco“. Mehr eine witzige Eingebung, weil ich mir niemals vorgestellt habe, dass diese Musik zu unserem Film passen könnte. Zu sperrig, zu fremd, zu unfilmisch beim ersten Hören. Doch dann, als ich die ersten wenigen Filmsequenzen sah und hörte, lag – ja – RussenPop unter den Bildern. Songs aus der Russendisco, die ich eigentlich nur aus Spaß mitgebracht hatte. Und die meine Cutterin zuerst fürchterlich fand. Aber siehe da: Die Sequenzen bekamen einen völlig anderen Charme, eine Authentizität, die sie vorher nicht hatten. Gegen ihren eigenen Geschmack hatte Britta etwas gewagt, was ich nicht für möglich hielt. Verwundert rieb ich mir die Augen und reinigte die Ohren, schaute noch mal und entschied, dass dies die Richtung sein würde, in der wir weiter arbeiten würden. Die Musik - die Kraft im begrenzten Raum ihres Entstehens - war stärker als alle Vorurteile dagegen. Sie hatte sich durchgesetzt.
Ich mache immer so genannte Tem-Tracks (Temporäre Soundtracks, vorläufige improvisierte Scoremusik) auf meine Rohschnitte. Denn der Rhythmus der Musik prüft den Rhythmus des Filmschnitts und gibt den stummen Bildern eines rohen Werkes seine eigene Patina. Ich brauchte mehr musikalisches Material. So zog ich über die Flohmärkte Wiens und kaufte für wenig Geld (wahrscheinlich illegale) Pressungen junger Pop-Musik aus Moskau, stöberte in der Klezmer-Musik-Abteilung bei Virgin Records, suchte in kleinen Musikläden balkanesische Folklore und fand bei Kusturicas Filmen die Musik von Bregovic. Und dann war er da, der Soundtrack, zumindest die Vorstellung in meinem Kopf. Ein Soundtrack, den vorher niemand spürte, ja, für möglich hielt. Die geplanten Einspielungen von deutschen Pop oder Rockstars waren „perdú“. Vorbei. Ich sprach mit meinen Film-Komponisten Walter Cikan und er lies sich von dem improvisierten „Tem-Track“ inspirieren.
Als wir den Bildschnitt beendeten, begann Walter dramaturgisch auf das einzelne Bild und auf einzelne Sequenzen hin zu komponieren. Die Emotionen an einer Stelle zu verstärken, die Dramatik an jener Stelle wieder zurück zu nehmen, dort die Action vorwärts zu treiben und an den Gewaltszenen kontrapunktisch den Humor musikalisch nicht zu verlieren. Es war eine schwierige Aufgabe in diesem Genre-Mix aus Gangsterfilm und Comedy die richtige Balance zu finden. Mehr als zwanzig Musiker aus aller Welt spielten dann in einem Wiener Studio die Nummern ein, die von RussenPop, über Klezmer- und Zigeunermusik, a capella eingespielte Männerchöre bis hin zu Hip Hop reichten. Ein Mix wie ich ihn mir niemals hatte vorstellen können. Und als wir den fertigen Film mischten, entstand exakt das, von dem ich immer träumte: die Musik wurde eigenständiger Teil einer filmischen Groteske, keine Untermalung des Films. Wie bei einem Schauspieler, der aus einem geschriebenen, trockenen Text etwas Lebendiges macht durch seine Intonation, seine persönliche Interpretation des Textes, seine gesprochene Passion beim Spielen, entstand etwas Neues, Aufregendes, Unverhofftes. Die Musik gibt dem Ganzen etwas Überraschendes, Eigenständiges. Sie ist nicht nur Funktionsträgerin, sondern ist einfach präsent. In den kurzen musikalischen Unterbrechung wirkt sie nach. Wie Lärm nach einer langen Ruhezeit, nur eben umgekehrt. Sie ist da, unüberhörbar, vorne. Ob das gefallen wird, war mir plötzlich unwichtig. Der ganze Film verlangte nach dieser Musik. Sie gibt BASTA das besondere Timbre. Gegen die Einwände vieler, die den Soundtrack zu anmaßend fanden, die Stücke zu viel und zu vordergründig, setzte ich mich durch. Die Musik bekam ihre eigene Rolle im Film. Sie wurde ein wichtigeres Puzzleteil im Ganzen als vorgesehen war.
Und das hat die Musik selbst erreicht. Ohne mein Zutun. Sie hat sich ihren Platz in diesem Film selbst geholt. Deshalb staune und schweige ich, wenn jemand fragt: wie kommt denn die Musik in den Film? Man weiß es vorher nie!
Pepe Danquart